Sie sind ersehntes Tagesziel, Unterschlupf bei miesem Wetter, Kommunikations-Zentrale und Zuhause auf Zeit in einem: die Hütten auf der Alpenüberquerung auf dem E5. Wir stellen einige dieser Hütten, denen Du auf der Route Oberstdorf nach Meran begegnest, in einer Mini-Serie vor. Ganz persönlich. Los geht’s mit der Kemptner Hütte…
„Die Kemptner Hütte ist ein Schutzhaus des Deutschen Alpenvereins, kein Hotel.“ Ein Schild, das nicht ohne Grund hier oben steht. Auf 1844 Metern thront sie am Fuß des wuchtigen Kratzer, die Kemptner Hütte. Für viele Wanderer ist sie die erste Berghütte, die sie in ihrem Leben betreten. „Manche sind da noch sehr planlos und haben hohe Ansprüche“, erzählt Hüttenwirtin Gabi Braxmair, die die Kemptner Hütte gemeinsam mit ihrem Mann Martin und ihren Kindern Sina und Moritz bewirtschaftet.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Die Gäste haben sich verändert in den letzten Jahren. Davon können alle Hüttenwirte, nicht nur am E5, ein Lied singen. Sie sind anspruchsvoller geworden, denn oft ist die Hütte heute nicht mehr nur Übernachtungsmöglichkeit auf dem Weg zu einem Gipfel, sondern selbst Ziel der Wanderung. Gab es früher am Abend die Wahl zwischen Kasspatzn und Knödeln, können Hüttenbesucher heute durch eine mehrseitige Speisekarte blättern. Vegetarisch? Vegan? Kein Problem. Glutenfrei? „Wir schauen mal, was wir machen können.“ An guten Tagen in der Saison bekochen Gabi und ihr Team 290 Übernachtungsgäste und zahlreiche Tagesbesucher, die von Oberstdorf hinaufkommen. Morgens mittags und am Abend. Krümelte man sich einst wie selbstverständlich zur Hüttenruhe mit 40 anderen Wanderern ins Matratzenlager mit kratzigen Decken, 50-Zentrimeter-Privatsphäre und garantiertem Schnarchkonzert, möchten heute alle am liebsten in Doppelzimmern mit frischer Bettwäsche übernachten. Eine Dusche, ehemals Luxus auf einer Berghütte, gehört mittlerweile zum Standard. Mehrere, versteht sich. Und natürlich mit heißem Wasser und möglichst unbeschränkter Duschzeit.
„Alles klar auf der Kemptner Hütte“
Stromanschluss, um Handy oder GPS aufzuladen, das fordern manche Gäste auch auf knapp 2000 Metern Höhe ebenso selbstverständlich wie eine stabile WLAN-Verbindung. „Einst hatten wir nur zwei Steckdosen hinter der Theke“, erinnert sich Gabi. Heute sind die Plätze an der 12er-Steckdose mit Handys dauerbesetzt. Früher beschränkten sich die Stoßzeiten auf die Ferien. „Ich erinnere mich, dass wir immer mit dem Personal gemütlich Mittag gegessen und oft draußen Kissen für die Hütte genäht haben“, erinnert sich Gabi, die als Vierjährige den ersten Sommer auf der Kemptner Hütte verbrachte. Ihre Eltern bewirtschafteten das Haus damals. Gabis Vater bewahrte die Abrechnungen als Zettelwirtschaft in der Schublade auf, bestätigte Reservierungen mit einer Postkarte „Alles klar auf der Kemptner Hütte.“ Heute verbringen die Braxmairs viele Stunden täglich im Büro. „Wenn abends Ruhe einkehrt, mache ich die Abrechnung, schicke Unterlagen zum Steuerberater und pflege das elektronische Reservierungssystem“, sagt Gabi. Doch Ruhe gibt’s erst, wenn das Licht im Gastraum erlischt. Bis dahin ist Vollgas angesagt. 18 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche, fünf Monate lang.
Ein Leben ohne die Hütte können sich Gabi und Martin trotz der Strapazen nicht vorstellen. „Irgendwann wird es zur Sucht“, sagt Gabi. „Hier oben, das fühlt sich nach Heimat an.“
Infos zur Kemptner Hütte: www.kemptner-huette.de
Reservierung über: www.huetten-holiday.com ACHTUNG: Die Hütte wird 2020/2021 umgebaut, darum stehen diesen Sommer deutlich weniger Schlafplätze zur Verfügung.
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Fotocredit: Christoph Jorda
